Republik | Tunesien ist müde

Seit 2011 haben die Tunesier auf eine bessere, demokratische Zukunft gehofft. Jetzt wurde eine Verfassung angenommen, die in die Autokratie führen könnte. Was ist da schiefgelaufen? Eine Reise nach Sidi Bouzid, wo die Revolution begann.

Als sich der Gemüse­händler Bouazizi anzündete, vergass Anwalt Aouainia die Angst vor der Polizei, die damals alle in Tunesien einte. Mitten in einer Menschen­menge vor der Gemeinde­verwaltung in Sidi Bouzid hielt er eine wütende Rede, in der er dem Regime vorwarf, die Region zu vernachlässigen und schuld an der wirtschaftlichen Misere zu sein. Auf seinem Smart­phone zeigt er das Video der Rede, die via Facebook und den Sender al-Jazeera die Welt erreichte und in Tunesien dazu beitrug, dass landesweit Proteste ausbrachen. «Arbeit, Freiheit, Würde», fordert er mit lauter Stimme. Es ist der Slogan, den die Demonstranten später auf den Strassen im ganzen Land brüllten.

Als Khaled Aouainia an diesem Vormittag Mitte August 2022 von den Jahren nach der Revolution erzählt, greift er sich ans Herz und krümmt sich nach vorne: Er beschreibt, wie er 2019 einen Herz­infarkt erlebte, als er in seinem Wohn­zimmer sass und den Politikern im Fernsehen zuhörte. «Ich habe es einfach nicht mehr ertragen: die Inkompetenz, die Korruption, die Ungerechtigkeit», sagt er. Würde er heute nochmals eine Rede schreiben, klänge sie ähnlich wie damals, sagt er. Doch vortragen müsste sie jemand anderes: «Ich bin zu müde.»

Ganzer Text in der Republik mit Fotos von Philipp Breu.